Ja, richtig gelesen. Work-Life-Balance war gestern. In einer digital vernetzten Welt geht es nun vielmehr darum, unsere Lebensbereiche sinnvoll zu verbinden anstatt strikt voneinander zu trennen. Hinter diesem Ansatz verbirgt sich die Work-Life-Integration. Die Arbeit macht dabei nicht Halt vor dem privaten Umfeld, Homeoffice lässt grüßen. Genauso wenig schreckt das Privatleben vor der Arbeitswelt zurück. Kolleg:innen werden zu Freunden und die Kinderbetreuung wird zum No.1-Einflussfaktor auf die Arbeitszeiten. Eines ist schnell klar: Privatleben und Arbeitsleben fordern uns gleichermaßen. Die Übergänge sind fließend, manchmal vielleicht gar nicht mehr wahrnehmbar. Work-Life-Balance funktioniert so nicht mehr, aber was ist die Alternative?
Berufs- und Privatleben neu denken
Wie können wir Arbeit und Privatleben neu denken? Schließlich kennen wir es nicht anders als Arbeitszeit strikt von Freizeit zu trennen. Obendrein haben wir große Anstrengung aufgebracht, diese Trennung möglich zu machen. Bei Work-Life-Integration geht es hingegen nicht mehr um die Balance der Lebensbereiche. Es gilt die Überlappungen zu managen. Oder wir gehen noch einen Schritt weiter: Was wäre, wenn die Überlappung aus Berufs- und Privatleben sogar ganz neue Potenziale bietet? Ein fundamental neues Mindset, das unser bisheriges Weltbild der Balance herausfordert. Beim Konzept der Balance muss sich das Privatleben die Waage halten mit dem Berufsleben. Bekommt eine Seite ein “Übergewicht” ist die Balance nicht mehr hergestellt. Und genau das ist der Haken: Es darf gar nicht um ein gegenseitiges Aufwiegen gehen, sondern um eher um eine gegenseitige Befruchtung der unterschiedlichen Lebensbereiche.
Organisationen haben jetzt die einzigartige Chance, das volle Potenzial der Mitarbeiter*innen zu aktivieren. Denn dort, wo die Anforderungen disruptiver denn je sind, dürfen es auch die Lösungen sein. Höchste Zeit also, ausgetretene Pfade und den Mythos des 9-to-5 Mitarbeiters oder Mitarbeiterin hinter uns zu lassen. Stattdessen müssen wir die gezielte Ausgestaltung der Teamarbeit nutzen, um allen Mitarbeiter*innen eine gesunde Work-Life-Integration zu ermöglichen. Insbesondere dann, wenn in Organisationen die verschiedenen Formen des agilen und ortsunabhängigen Arbeitens gelebt werden und das Team sich nicht oft persönlich sieht.
Die Selbst-Analyse.
Um die eigenen Lebensbereiche erfolgreich in dieses Konzept zu integrieren, müssen wir uns im klaren über einige Dinge sein. Denn nur so gelingt eine authentische Integration aller Aktivitäten. Bedeutende Bereiche zu priorisieren und die eigene Energieverteilung entsprechend anzupassen ist ein guter Anfang. Welche Anforderungen stellen wir an uns selbst? Welchen Stellenwert haben bestimmte Themen gerade für uns? Versuche eine Einordnung anhand einer Tabelle zu machen und Dir wird sehr schnell klar, wo noch Handlungsbedarf besteht. Welche Konsequenzen hat die aktuelle Verteilung? Wie zufrieden bist Du damit? An welchen Stellschrauben musst du drehen (Bedeutung bzw. Fokus), um deine Vorstellung Wirklichkeit werden zu lassen?
Fast genauso wichtig sind die Präferenzen Deiner Stakeholder. Um Aufschluss darüber zu bekommen, notiere Dir zunächst alle Stakeholder namentlich. Kategorien helfen Dir dabei, die wichtigsten Personen aus den einzelnen Bereichen zu benennen und zu sortieren. Versuche anschließend die Frage zu beantworten: Was ist das Wichtigste, was diese Person von mir braucht oder möchte? Gewichte diese Erwartungen auf einer Skala von 1 bis 10. Dabei bedeutet eine geringe Bewertung, dass Du den Erwartungen zurzeit nicht gerecht wirst und eine hohe Bewertung, dass du die Erwartungen erfüllst.
Der Austausch mit deinem Umfeld ist wichtig
Dabei kann diese Selbst-Analyse als Basis und konkrete Diskussionsgrundlage dienen. Stimmen Deine Anforderungen an Dich mit denen Deiner Stakeholder überein? Wo gibt es die größten Konfliktpotenziale? Wie könnten Lösungen oder Ideen aussehen, um diese aufzulösen?
Zugegeben klingt dies alles sehr theoretisch. Alle Bereiche des Lebens sinnvoll miteinander zu verbinden, so dass daraus Potenzial geschöpft werden kann, ist herausfordernd. Insbesondere, wenn man mit diesem Ansatz alleine da steht und weder Team noch Organisation unterstützen. Denn diese Unterstützung ist auch hinsichtlich zukünftiger, hybrider Arbeitsweisen unabdingbar, die automatisch mit Work-Life-Integration verbunden sind.
Work-Life-Integration im Alltag leben
Klare Rahmenbedingungen zu schaffen ist für jede Art der Zusammenarbeit förderlich. Daher solltest Du offen damit umgehen, wie, wann und wo Du Work-Life-Integration betreibst. Zum Beispiel indem Du preisgibst, wie Du dich selbst organisierst und an welchen Stellen Du Dein Privatleben priorisierst. Das eröffnet die Diskussion über grundsätzliche Fragen der Zusammenarbeit und der unterschiedlichen Priorisierung und Aufgabenverteilung. Eine offene Atmosphäre schafft Raum und Möglichkeit für Work-Life-Integration.
Was sind konkrete Tipps für die Umsetzung?
Gehe mit gutem Beispiel voran: Nutze Gelegenheiten, die sich Dir zur offenen Kommunikation bieten, um über Deine aktuelle Situation zu sprechen. Welches sind Deine vier wichtigsten Lebensbereiche und wie beeinflussen diese Dich im Moment? Frag‘ doch mal Deine Teamkolleg:innen nach ihren Bereichen.
Spreche klar aus, wenn Du Anforderungen aus verschiedenen Lebensbereichen derzeit nicht vereinbaren kannst. So zeigst du Dich verletzlich. Insbesondere dann, wenn Du die Priorität punktuell auch mal nicht auf die Arbeit setzt. Zum Beispiel kann eine Erklärung lauten: „Ich kann das Meeting nicht zu diesem Zeitpunkt ansetzen, da ich zu dem Zeitpunkt die Betreuung meiner Kinder übernehme“. Das schafft Vertrauen und ein großes Wir-Gefühl, da alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Wenn bestimmte Situationen für Dich eine mentale Herausforderung darstellen, erkenne es an. So kannst Du Dich authentisch in Deinem Team zeigen. Am besten mit Beispielen aus den unterschiedlichen Lebensbereichen (z.B. „Mir fehlt der persönliche Austausch beim Mittagessen mit Kollegen“). Widerstehe der Versuchung, für alles gleich eine Lösung haben zu müssen. Manchmal gibt es vorübergehend keine und das ist ok. Resilienz bedeutet auch das Aushalten von Situationen.
Neugierde macht ehrlichen Austausch möglich.
Versuche, die Herausforderungen anderer zu verstehen und sei neugierig. Frage nach: Welche Lebensbereiche müssen Deine Kolleg:innen derzeit vereinbaren? Was bereitet Ihnen dabei konkret Schwierigkeiten? Auch wenn sie andere Lebensbereiche priorisieren als Du (z.B. der frisch gebackene Familienvater vs. durchstartende Kollegin, die alles für die Arbeit gibt).